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  • Diana Thielen

"Reflect your practice"- about self-care


Self-care bedeutet für mich, mich zwischen unterschiedlichen Arbeiten zu navigieren, mich immer wieder zu meiner Erfahrung meiner – relativen – Prekarisierung zu positionieren und mich ‘zur Welt’ ins Verhältnis zu setzen. Meinen Zustand ernst zu nehmen im Balancieren zwischen Arbeit, die den Lebensunterhalt sichert (momentan meine Beziehung zum Jobcenter), meine wissenschaftliche Arbeit an der Dissertation, care-Beziehungen mit Freund*innen, (die im Moment pausierende) Politarbeit und Sorge im Hinblick auf die strukturellen und unmittelbaren Gewalt, Marginalisierung und Entrechtung, die in der Welt passiert. Yoga ist für mich ein Teil dieser self-care.

Von meiner ersten Begegnung mit Diana bei einer Yogaklasse ist mir noch gut in Erinnerung geblieben, dass sie ihr Unbehagen mit der Yoga-Industrie und der in ihr stattfindenden kulturellen Aneignung von Wissen für das Versprechen von Wellness und Beauty für Gestresste teilte. Gedanken, Posts und Artikel von Menschen, die sich kritisch mit ihrer Yoga-Praxis auseinandersetzen und an einer Haltung zu self-care und einer kritischen Praxis gegenüber gesellschaftlichen Verhältnissen zu arbeiten, haben mich neugierig gemacht. So auch die Einladung zu “Reflect your yoga practice”.

Für die Session im Oktober hatten Diana und Vincenz Laurie Pennys Text “Life-Hacks of the Poor and Aimless. On negotiating the false idols of neoliberal self-care” vorbereitet. Laurie Pennys Artikel war Anlass, um uns darüber Gedanken zu machen dass uns suggeriert wird, dass wir uns durch Praktiken der “Selbstliebe” (Penny scheint keinen klaren Unterschied zwischen Selbstliebe und self-care zu machen) von den negativen, krankmachenden Folgen der Verhältnisse frei machen können, ohne dabei die Verhältnisse an sich zu in Frage stellen zu müssen: Yoga und Superfood sollen uns gesund und in Balance halten, Arbeitslose sollen sich im ‘Positiv Denken’ üben. Während die self-care- bzw. Selbstliebe-Industrie profitiert, sollen wir bitte an unsere Arbeitsverhältnisse, die Gesundheitsversorgung und die vielen Krisenerscheinungen des Spätkapitalismus nicht ran, denn das könnte ja bedeuten, grundsätzlicher auf die gesellschaftlichen Widersprüche den Finger zu legen und gar auf die Veränderung der Verhältnisse hinzuwirken.

Der von Penny beobachtete Trend um Selbstliebe kommt einer Individualisierung im Umgang mit Ungleichheiten und Prekarisierung zu Gute. Penny stellt fest, dass weil Self-care und Wohlbefinden so neoliberal besetzt sind, self-care Praktiken bei “Progressiven, Liberalen und linken Gruppen” einen schweren Stand haben.

Bedeutet die Kritik am derzeitigen Self-care-Trend aber im Umkehrschluss, dass ‘self-care’ kollektiven Formen, die Verhältnisse so wie sie sind, nicht hinzunehmen, im Weg steht und den Blick für die strukturellen Widersprüche versperrt? Muss self-care zwangsläufig eine individualisierte, unpolitische Praxis sein? Wo fängt kollektive Praxis an? Wie sieht self-care aus, die sich weniger in den Dienst des neoliberale Projekts nehmen lässt, durch das ich mich noch mehr optimieren und aushalten soll?

Um diese Fragen kreiste sich auch die Diskussion unseres Treffens.

Penny schreibt, dass die Frage nach ‘self-care’ nicht zuletzt deshalb wichtig ist, weil auch – und vor allem – jene Menschen, die für Emanzipation kämpfen, ausbrennen und sich unverantwortlicherweise nicht um sich kümmern. In unserem Gespräch haben wir das ‘Ausbrennen’ im Aktivismus ebenfalls thematisiert.

Wir haben jedoch auch die grundsätzlichere Frage gestellt, unter welchen Umständen und für wen Verletzlichkeit eine so geringe Rolle spielt, dass mensch sich keine grundsätzliche Gedanken um self-care – und care für andere – machen muss. Dass Gesundheit und soziale Sicherheit als sozialstaatlich gesicherte Normalität verstanden werden, galt seit vielen Jahren nur für einen kleinen Teil von Gesellschaften: nämlich männlicher, weißer(1)Arbeitnehmer im globalen Nord-/Westen mit dem jeweiligen Pass.

Vor diesem Hintergrund sprachen wir darüber, dass care – für sich selbst und für andere – schon immer Überlebensstrategie für marginalisierte Menschen ist. Vielleicht ist das eine andere self-care-Praxis als das Smoothie-Trinken und die positive-Thinking-Seminare, die uns neoliberale Diskurse ans Herz legen?

Schwarze Feministinnen wie bell hooks oder Audre Lorde (die von Penny zitiert wird) haben sehr Wertvolles dazu geschrieben, was im Hinblick auf eine Haltung im aktuellen dominanten ‘self-love/care’-Trend’ hilfreich sein.

Das Wissen von Marginalisierten über (self-)care nicht respektlos anzueignen, bleibt Aufgabe für mich, die von diesem Wissen lernt.

Wir sprachen darüber, dass self-care im Sinne von Sich-selbst-ernst-nehmen wichtig sein kann, um ‘standhaft’, zu bleiben, entgegen den ständigen Suggerierungen, dass wir selbst schuld sind, wenn wir an Grenzen stoßen, obwohl – so erinnerte eine der Teilnehmer*innen – uns die Umstände gar nicht erlauben, nicht zu scheitern. (Beispiele im Gespräch waren: Anträge stellen, um Kulturproduktion machen zu können, wo Förderungsstrukturen sehr interessenbestimmt sind, Projekte in Förderzeiträumen zu Ende bekommen, die unmöglich einzuhalten sind).

Meine self-care kann die emotionale care-Arbeit von anderen beinhalten: Wo Yoga für mich self-care ist, ist sie care- und emotionale Arbeit meiner Yoga-Lehrer*innen. Da care- und emotionale Arbeit strukturell abgewertet sind, können wir daran arbeiten, diese Arbeit anzuerkennen und gegen ihre Abwertung zu arbeiten. Den Raum zu nehmen, um gemeinsam ins Gespräch zu kommen über Formen care und self-care ist, so war eine Überlegung bei der Reflect-your-Yoga-Practice-Session, ist eine kollektivere Praxis. Die oben erwähnten Fragen bleiben – um weiterhin besprochen zu werden.

Samia

Samia Dinkelaker ist im Jahr 1985 geboren, in Süddeutschland aufgewachsen und lebt seit mehr als zehn Jahren in Berlin. Momentan schreibt sie ihre Dissertation in den Fächern Soziologie und Sozialanthropologie. Seit Oktober 2015 besucht sie Dianas Yogaklassen im Heilehaus. Samia schätzt die Einladung, die Yogapraxis in ihrem gesellschaftlichen Kontext zu verstehen, in dem sie sich als weiße und able-bodied Cis-Person mit Mittelklasse-Hintergrund bewegt.

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